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Die Kunst der Barrierefreiheit

Die hohe Zugänglichkeit lässt Klemens Strassers Spiele erblühen.

Wenn Klemens Strasser ein neues Spiel designt, stellt er sich zwei Fragen: Macht es Spaß? Und lässt sich das Spiel für alle zugänglich gestalten?

„Wenn ich nicht beide Fragen mit ja beantworten kann, verwerfe ich die Idee“, erläutert der Entwickler des wundervollen Naturpuzzlers Art of Fauna.

Strassers Bestreben nach Barrierefreiheit begann mit seiner ersten Veröffentlichung, dem zeitbasierten Quizspiel Elementary Minute, das ihm 2015 bei den Apple Design Awards den Titel in der Kategorie Student Winner einbrachte.

Später, noch im selben Jahr, fragte ihn ein Software Engineer mit Sehschwäche auf der Worldwide Developers Conference von Apple, warum sein Spiel nicht auch VoiceOver unterstütze – das ist die branchenführende integrierte Screenreader-Funktion von Apple, die Audiobeschreibungen der Elemente auf dem Bildschirm liefert.

Videobeschreibung: Inhalte der App Study Snacks. Farbig ausgefüllte Kreise mit verschiedenen Buchstaben fallen vom oberen Bildschirmrand herab. Die Spieler:innen tippen darauf, um Saturn, Venus, Mars, Erde und Merkur zu buchstabieren.

„Er wusste, dass es perfekt funktionieren würde“, erinnert sich Strasser. „Er begleitete mich während des ganzen Prozesses und einige Wochen später veröffentlichte ich eine Spielversion, die VoiceOver unterstützte.“

Das Zusammentreffen war für Strasser ein Moment, der seine ganze Karriere beeinflussen sollte. „Ich erkannte, dass auch viele andere in der Entwicklungsbranche ihre Spiele barrierefrei gestalten könnten, aber einfach nicht daran dachten.“

Sein 2022 veröffentlichter Titel Ancient Board Game Collection wurde ähnlich geprägt vom Feedback einer Person mit Sehschwäche. Die Sammlung bietet Digitalversionen längst vergessener Spiele, darunter auch das dem Dame-Spiel sehr ähnliche Latrunculi, dessen Ursprung bis ins erste Jahrhundert vor Christus zurückreicht.

Videobeschreibung: Inhalte von Dablot, einem der Spiele in Strassers Ancient Board Game Collection. Zu Beginn zeigt das Spielfeld zwei gegenüberliegende Seiten, die mit braunen und blau-grauen Steinen auf einem beigen Untergrund besetzt sind. Dann wird der Modus für hohe Kontraste in den Einstellungen aktiviert. Wir sehen nun die Spielsteine in Schwarz und Weiß auf einem leeren Untergrund. Die Bewegungen werden durch helle rote Punkte dargestellt.

„Das führte zu einem Hoher-Kontrast-Modus, der den Hintergrund entfernt, das Spielfeld als vereinfachtes Gitter und die Spielsteine in leicht unterscheidbaren Farben darstellt“, erläutert Strasser. „Die Farben lassen sich jeder beliebigen Art von Farbsehschwäche entsprechend anpassen.“

Inklusivität ist zweifellos der richtige Ansatz.

– Klemens Strasser

Strassers Engagement für Barrierefreiheit wird vielleicht am besten in Art of Fauna deutlich. In diesem facettenreichen Puzzler lassen sich die Levels auf zwei verschiedene Arten lösen: durcheinander gewürfelte Bildteile ordnen oder zerstückelte Texte zusammenfügen. Auf der einen Seite des Puzzles befindet sich eine wundervoll gezeichnete Tierdarstellung aus der Smithsonian’s Biodiversity Heritage Library in den USA, auf der anderen Seite steht die Textbeschreibung dazu.

Videobeschreibung: Inhalte des Spiels Art of Fauna. Wir sehen ein durcheinander gewürfeltes Bild zweier Riesentukane vor Blättern und kleinen weißen Blumen. Ein Ton erklingt, wenn ein Teil ausgewählt oder bewegt wird. Das Puzzle ist am Ende des Videos richtig geordnet.

Strasser erweiterte das Spiel mit Texten, um das VoiceOver-Feature zu ermöglichen – doch letztendlich wurde daraus eine neue Spielvariante, die den Spielspaß für alle noch deutlich verbesserte. „Es ähnelt vom Effekt her einer Bordsteinabsenkung – sie nützt nicht nur Menschen mit einem Rollstuhl, sondern auch Menschen, die einen Kinderwagen schieben. Und auch mir, wenn ich mit schwerem Gepäck zum Bahnhof gehe“, erklärt er.

Wenn du das Spiel erstmals öffnest, erscheinen Einstellungen für Barrierefreiheit und Bedienhilfen. Dir stehen Optionen zur Verfügung, die eine Navigation mit VoiceOver vereinfachen sowie Fonts für Spieler:innen mit Dyslexie. Art of Fauna verfügt zudem über einen „Phobie-Filter“, mit dem sich Spinnen, Schlangen, Fledermäuse und andere Tiere ausblenden lassen, die eine ungewünschte Reaktion bei dir hervorrufen.

Videobeschreibung: Ein klein geschriebenes A auf cremefarbenem Hintergrund wechselt fließend die Fonts. Erst Vollkorn, der Standardfont des Spiels, danach OpenDyslexic gefolgt von Lexend, einem Font zur Minimierung visueller Belastung.

„Ich habe unzählige Zeichnungen und Fotos von Tieren betrachtet, die in mir ein leichtes Unwohlsein hervorgerufen haben“, erläutert Strasser, der über 100 Bilder für das Spiel geprüft und diejenigen markiert hat, die bei Spieler:innen zu ungewollten Reaktionen führen könnten. „Ich habe viele Mitteilungen von Menschen erhalten, die sich für dieses Feature bedankt haben.“

Spiele von Beginn des Entwicklungsprozesses an auf Barrierefreiheit auszurichten, ist deutlich einfacher, als im späteren Verlauf solche Features als eine Art Zwangskorsett zu integrieren – und laut Strasser lohnt es sich jedes Mal.

„Inklusivität ist zweifellos der richtige Ansatz“, betont er. „Wenn bedeutende Spiele und Apps nicht allen zugänglich sind, werden Menschen mit Behinderung nicht nur vom Erlebnis selbst ausgeschlossen, sondern auch von der ganzen Subkultur, die solche Titel umgibt. Das sollten wir nicht zulassen.“

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